Schützengraben. Hier fliegen die Fetzen. Wir haben gar keine Wahl. Wir müssen wach werden.
Sechs Einschüsse in meinem Mantel. Harte Sachen. Nichts mit Abstand. BRRRRUCHH! - und dann wieder Ruhe.
Gelächter auf der anderen Seite, wenn sie meinen, einen erwischt zu haben.
Das Blöde ist: ich sehe unseren Leutnant andauernd mit Kopfverband. Obwohl er gar keinen hat. Blöd ist auch: ich gelte für zu jung. Ich muss in der zweiten Reihe liegen, da, wo die Kugeln runterprasseln, während die vor mir in ihrer MG-Betrunkenheit knattern und Tod furzen können, wie es ihnen gerade einfällt.
Ich dachte daran, daß die Frau von Max Ernst in dem kleinen Stück Stadt, das noch nicht umkämpft wird, ein Restaurant hat. - Sie ist älter als Max. Und sie schimpft mit ihm. Blaise lacht laut und sagt laut: Mutti Mutti Mutter Mutter, obwohl er eigentlich nach drüben in den anderen Graben gehört und sein Arm abzuschießen ist.
Kartoffelpuffer gibt es in dem gar nicht richtig besuchten Laden von Max Ernsts Frau und es sieht alles sehr chinesisch aus, abgesehen vom Wein, der rot ist wie in der guten alten Zeit. Aber diese leeren Räume und das Licht nur hinter dem Kamin...
BRRRRUCHH!
Wieder so eine stahlharte Sache, die den Dreck nach allen Seiten spritzen lässt. Und jetzt das Gejaul von einem, den es getroffen hat. Und das Gelächter von denen da drüben. Man hört förmlich, wie sich einer eine neue Kerbe ins Holz schnitzt. Ach ja, so ein Krieg ist schon brutal.
Ich hab wirklich Pech, dass ich so jung bin. Ich würde denen schon was in die Visagen knattern. Aber, - ich bin ein Auszubildender. Soll mich zu Anfang nur umsehen. Wenn es mal einen erwischt, darf ich einspringen, bis Ersatz zur Stelle ist. Aber: hier sind zwölf alte Hasen in meinem Abschnitt. Die erwischt es scheinbar nie. Ich liege hier schon zwei Tage, und sie leben noch alle. Gottverdammter Mist!
Und außerdem habe ich immer noch keine Ahnung, wie man mit diesen Waffen umgeht. Sie zeigen einem gar nichts. Es ist kaum zu glauben: ich brauche nur eine ruhige Minute abzupassen, hinten aus dem Graben kriechen, und schon in ich mitten in der Stadt. Und völlig unbekümmert knattern sie hier ihre Geschäfte ab.
Wenn sich die Front verschiebt, werden ein paar Straßen gesperrt, Umleitung, evakuiert, was nötig ist: bimmel bim, die U Bahnen fahren hier und da im Freien, wie damals die Straßenbahnen, nur schneller, und die Burschen in dem grünen Uniformen, die Schaffner, sehen kaltblütig aus.
Ist egal, wo es dir schlecht wird, denke ich manchmal. - Auf mich achtet sowieso niemand. Dann gehe ich eben italienisches Eis essen. Aber alle in der Stadt sehen, dass ich das Vaterland verteidige, und schütteln dem Kopf. Sowas nennen die moralische Unterstützung. Das ist nicht fair.
Jedenfalls matscht und platzt es hier ganz ordentlich die Hirne durcheinander. Eine von drüben soll geschrien haben. So laut, dass man ihn hören konnte. Also lauter als MG-Geknatter oder Granatenexplosion. Das ist ein Rekord. Bei uns haben sie richtige Angst vor dieser Stimme. Seit damals heißt der Typ da drüben: der Angstcaruso.
Ich träume mich gern zu den Kartoffelpuffern von Max Ernsts Frau. Mutti Mutti Mutter Mutter, sagt Blaise. Aber mir fällt einfach ihr Name nicht ein. Ich nenne sie Mildred.
Und dann denke ich auch, wenn wieder eine verirrte Kugel meine Uniform streift, bisher waren es nur Streifschüsse - ich blute fast gar nicht -, dass ich nicht so träumen sollte.
Es sind kostbare Eindrücke, die ihr sammeln dürft und könnt, sagte der Leutnant mit der roten Kopfbinde. Die helfen euch im späteren Leben. Der Bursche ist 24, 25 Jahre alt, ziemlich ruhig, sieht aus wie ein Unteroffizier. Aber so ist es nun einmal. Er kommt vom Film. Hat eine Menge Werbung gemacht. Margarine und Käse. Also gar nichts Schlimmes, oder?
Jetzt wartet er wohl auf seinen Kopfschuss, wenn ich mich nicht täusche.
Das brüllt ja urtümlich, dieses Feindliche da drüben. Man ist schon gar nichts Richtiges mehr gewöhnt. - Ganz schön stark, denke ich manchmal: AN DER FRONT. Direkt vorne. Nichts dazwischen. Das hat eine Reinheit.
Aber manchmal hören wir Radio, und sie machen anders einfach weiter mit Musik und Feuilleton und Sport. Wir werden zwar auch erwähnt, aber so ganz richtige Helden sind wir gar nicht.
Unserer Aufgabe ist es, die Leute zu unterhalten, sagte der Leutnant.
Ich sehe nur Dreck und Schutt, wenn ich es mal schaffe, an den Sandsäcken vorbeizulinsen. Dann knattert es gleich wieder los. Irgendeiner von den alten Hasen reißt mich runter und brüllt mich an, schiebt sich selbst in die Mitte und knallt und schießt, als wenn er eine Prämie fürs Ballern bekäme.
Was solls eigentlich? - Seit drei Wochen keine Verschiebung des Frontverlaufes, aber jede Menge Gedichte im Radio: wie hart der Feind, wie zornig die Gemüter. Frauen im Hinterland, Frauen und Kinder verlassen sich auf euch, sagen sie im Radio, in den Nachrichten. Dann kommt Pop International. Das finde ich Spitze!
Ich habe das Gefühl, als ich die Stimme des Angstcaruso schon einmal im Radio gehört hätte. Irgendeinen Song über Fernfahrer, glaube ich.
Dass weich gekochte Ei und seine Rolle im Schützengraben, die VISION vom weich gekochten Ei, wie der Löffel die Kuppe abhebt und die Spannung: ist es weich? - Ja, es ist tatsächlich weich, das Eigelb ist flüssig, mit Salz oder Senf oder Mayonaise oder Kaviar -, ist dieses Ei nicht der Inbegriff unseres Jahrhunderts; und war es nicht schon immer ein Symbol für die Erde? Ein Symbol für unseren Kampf, für die Bombe, sogar für Casanova, der immerhin Unmengen, das ist der feine Unterschied: ROHE Eier schluckte, nur um an der Liebesfront zu siegen, und der wie ein verrückt gewordenes Arschloch fickte, fickte, fickte - Ogottogott, ein Monster! - Das weich gekochte Ei und seine Rolle im Schützengraben, hab ich mir gedacht, als es - endlich! - meinen rechten Nebenmann erwischte. er sagte eigentlich gar nichts. Gurgelte und brach zusammen. Voltreffer im Hals. Das Blut schoss nur so raus, stoßartig. Glucks. Glucks.
Tja, ich war froh: Sanitäter, Sanitäter!, aber schon - nein, leider nicht. Ich musste dem Kerl erst die Knarre aus der Hand reißen, und obwohl er am Verrecken war, er wollte das Ding nicht los lassen. Klammerte sich dran fest. Wenn er gekonnt hätte, hätte er geheult, der Arsch, - na, ich hab ihm die Finger einzeln abgepuhlt. Dann endlich hatte ich die Knarre, lag da und er hinter mir, ich ganz und gar an der vordersten Front! Und das war wirklich ein einzigartiges Gefühl.
Ich dachte sofort an weich gekochte Eier und sah eins DIREKT vor mir: Kimme Korn BRRRUCHHH!... Und das Irre ist: ich muss getroffen haben!
Der Angstcaruso drüben brüllte auf, dass einem ganz schlecht werden konnte. Da waren aber auch schon Sanitäter und Ersatzmann und alles organisiert. Ich konnte noch nicht einmal sehen, ob zwischen unserem und deren Graben Leichen lagen oder Stacheldraht.
Ein weich gekochtes Ei, das war alles beim ersten Mal.
Ich dachte: warts ab. - Und ich hatte recht.
Der bullige Leutnant hat mich zur Sau gemacht: Sie haben wohl überhaupt kein Mitleid, mit nichts und niemand, was? hat er geschrien.
Achtung, dachte ich, still.
Ich konnte noch froh darüber sein, dass danach noch eine Kugel in der Höhe meines Hirns durch die Luft fetzte und den Dreck hinter mir zerriss. Es war zum Verwesen.
Kein Text für jedermann, aber Sie sind noch dabei. Dann interessiert Sie womöglich das zweite Kapitel
© Text 1986 Theo Köppen © Zeichnung 1988,2001 Roland Epper.
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